Potsdamer Kunstverein e. V. - Ausstellungen Archiv: Anna Hoffmann

Zwischen den Jahren
Bilder von Squaw Hildegard Rose sind nach fünf Jahren wieder in einer Einzelausstellung in ihrer Wahlheimat Potsdam zu sehen. Davor, viele von Ihnen werden sich erinnern, zeigte sie in einer opulenten Schau im Kunstraum Potsdam Bilder aus den Jahren 2001–2007. Absichtsvoll erzeugt die aktuelle Ausstellung ein Déjà-vu: Der Ausstellungsrundgang beginnt mit einem Bild aus dem Jahr 2006, das auf die erwähnte Präsentation in der Schiffbauergasse verweist. Es verkörpert sozusagen den zeitlichen, aber auch bildästhetischen Anschluss an die hier und heute im Kunsthaus sans titre erstmals öffentlich gezeigte Werkauswahl. Hier, in diesem verwinkelten, tagsüber wunderbar lichtdurchfluteten Obergeschoss, entschied sich die Künstlerin für eine sehr aktuelle, kleine Auswahl von 20 Bildern, die hauptsächlich in den letzten drei Jahren entstanden sind - allein acht Bilder davon in den letzten Monaten. In ihrer selbstverständlichen Präsenz künden gerade diese Werke sowohl von einer erstaunlichen künstlerischen Produktivität, wie sie auch in den gewählten Konstellationen eine bildsprachliche Entwicklung vermitteln, die Animation genug zur konzentrierten Betrachtung gibt. Diese Entwicklung erschließt sich, wie ich finde, gerade deshalb, weil vor oder neben dem Blick auf die neuen Werke auch eine Erinnerung an die zuvor gezeigten gewährt wird. Ein Zusammenhang, dem ich ein wenig nachgehen möchte. Es waren die großformatigen Bilder, die mich 2008 in den Bann zogen: Eben wegen der sichtbaren von Hans-Jörg Schirmbeck im damaligen Katalogtext erwähnten »fließenden Grenzen zwischen abstrakter und gegenständlicher Malerei«. Mir war noch vor fünf Jahren unbekannt, dass sie als Studentin die Werkkunstschule Kiel verlassen hatte, um sich an der von Peter Voigt geleiteten Hochschule der bildenden Künste in Braunschweig immatrikulieren zu lassen. Damals in Kiel wurden hauptsächlich die handwerklichen Voraussetzungen für zukünftige Werbegestalter vermittelt. Hildegard Lehmann-Matthäi interessierte sich jedoch nicht für die angewandten Bereiche, wie Buch- oder Plakatgestaltung. Sie wollte als freie Malerin ausgebildet werden. Und deshalb fühlte sie sich in Braunschweig besser aufgehoben. Der damalige Rektor leitete die Klasse für freie Malerei und regte seine Studenten an, eine realistische Bildsprache zu entwickeln. Fasziniert vom sozialkritischen Verismus der 20er Jahre, wurden einige seiner Absolventen die Wegbereiter des so genannten »Neuen oder Kritischen Realismus« und gingen nach dem Studium nach West-Berlin. Hermann Albert beispielsweise, einer der bekanntesten seiner Schüler, 1969 Mitgründer der Galerie Poll, nahm 1977 als Zeichner an der documenta 6 teil. Maina-Miriam Munsky, die 1968 ihre erste Ausstellung in der heute legendären Galerie Großgörschen 35 hatte, gründete 1972 die Künstlergruppe Aspekt, gemeinsam mit Peter Sorge, Hermann Albert und anderen. Es handelte sich dabei um einen offensiven Gegenentwurf zur abstrakten Kunst der Nachkriegsmoderne. Auch Hildegard Lehmann-Matthäi malte als Studentin figurative Bilder oder Landschaftsbilder, die keineswegs abstrakt waren. Stärker als vom Verismus oder dem Kritischen Realismus ihrer Kommilitonen fühlte sie sich vom Surrealismus und vom Informel angesprochen. Sie heiratet 1963 Jochen Rose und nennt sich fortan Squaw Rose. Seit 1965 in Westberlin lebend, seit 1976 als freiberufliche Malerin tätig, beginnt sie ihre eigene Bildsprache zu finden, in der sie sich Künstlern wie Max Ernst, Pierre Soulages oder Fred Thieler bildästhetisch verbunden fühlte. Gerade die Bilder der 80er Jahre zeigen die Anfänge ihres Weges, auf dem sie sich als Malerin verortet hat und gleichzeitig erfindet. Die Hingabe an den Malprozess, das Freilegen des Unbewussten und das wiederum bewusste Ausloten des Bildraumes werden die wesentlichen Parameter für die Entstehung ihrer Bilder. Mit diesem Rückgriff in die Vergangenheit wollte ich Ihnen Anhaltspunkte geben, die die anfangs erwähnten »fließenden Grenzen zwischen abstrakter und gegenständlicher Malerei« (Schirmbeck) erklären. Legitimiert bin ich schon allein dadurch, dass Ihnen bereits am Sonntag ab 12 Uhr in der Galerie Mutter Fourage in Berlin-Wannsee die Möglichkeit gegeben sein wird, eine retrospektiv angelegte, bis in die 80er Jahre zurückreichende Ausstellung von Squaw Hildegard Rose zu sehen. Hier, in dieser Ausstellung, spricht mich die geheimnisvolle wie zugleich auch unnahbare Tiefe der Bildräume an. Und selbstverständlich interessiert mich deshalb der Hintergrund der Bildentstehung. Sind die zerklüfteten Bildlandschaften von den Alpen inspiriert, die die Künstlerin sommers wie winters während ihrer regelmäßigen Aufenthalte in Klagenfurt verinnerlichen konnte? Haben sie ihr früheres intensives Klavierspiel, ihre bis heute ausgesprochene Vorliebe für die Klangarchitekturen Johann Sebastian Bachs zu diesen verschatteten Bildräumen geführt, die in ihrer klaren Tektonik verblüffen? Die Wirkung der hellen, nuancierten Farbschichten hat die Künstlerin immer wieder mit dunklen, wuchtigen Farbverläufen unterspült. Als habe Gustav Mahler klanglich auf Bach reagiert. Die Brisanz der wahrnehmbaren Atmosphäre resultiert aus der spannungsvollen Dichte von geradezu unerlösten Darstellungen, die sich ikonographisch nur vage identifizieren lassen. Als ziele ihre Malerei heutzutage vor allem darauf, beharrlich eine lichtzehrende Stimmung auszureizen. Was daraus folgt, ist ein Verstecken und Verbergen, das den Betrachter zum aussichtslosen Begehren verführt, etwas auffinden bzw. entbergen zu wollen. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob nicht das Atelier sondern erst der Bildraum zum eigentlichen Rückzugsort der Malerin wird? Inhaltliche Verweise waren bereits Anfang der 90er Jahre selten. Eine Tatsache, die der Kunsthistoriker Andreas Hüneke als Verhaltenheit der Künstlerin erkannte, die schon damals die Betrachtung ihrer Bilder nicht verengen wollte. Eine Ausnahme in dieser Zeit ist der Bildtitel »Tod meiner Mora«. Diese offenherzige Bezogenheit auf eigene Trauer über den Tod ihrer Hündin verleiht dem Bild eine suggestive Grundstimmung, die auffordert, das flächige Schwarz der unteren Bildhälfte gedanklich wie einen Vorhang über den gesamten Bildraum zu ziehen. Die von Andreas Hüneke ins Feld geführte »Ungewissheit«, die sich bildästhetisch und inhaltlich in den Bildern von Squaw Hildegard Rose zeigt, ist m.E. deren besondere Qualität. Was Sie und mich fragen lässt, was sich inzwischen verändert hat? Die kleineren Formate überwiegen. Die Einbeziehung von Röntgenbildern hat nicht mehr nur die Funktion, mit dem halbtransparenten Material eine geradezu magische Räumlichkeit zu erzielen, wodurch der Bildgrund unbestimmbarer für den Betrachter wird. Auffällig sind neuerdings bizarre Scherenschnitte, die den Vordergrund der jüngsten Bilder bedrohlich attackieren. Die Konkretheit dieser Eigenschaft führt auf den Ursprung der einbezogenen Röntgenbilder zurück. Anfangs verwendete die Künstlerin ihre eigenen Befunde, um sich von dem beängstigenden Ergebnis lösen zu können. Später kamen Röntgenaufnahmen dazu, um die sie befreundete Ärzte gebeten hatte. Sie umgab sich mit dem fremden Material, um es sich in ihren Bildern anzueignen. Mit der ambivalenten Ästhetisierung der Aufnahmen kann wenigstens zeitweise das eigene Gefährdetsein aufgehoben bzw. transformiert werden. Henri Matisse, als Patient und Rollstuhlfahrer, empfand die Wirkung der Scherenschnitte ähnlich. Eine »Synthese von Zeichnen, Malen und Bildhauern. Der Schnitt, schärfer als jeder Kohle- oder Federstrich, hinterlässt eine Spur ohne Breite. Scheidet das Sein vom Nichts. Das geschwinde Gleiten ist eine fortwährende Schöpfung, aber da es ein Zerteilen ist, ist es zugleich Zerstörung: schöpferische Zerstörung.« Ich danke Squaw Hildegard Rose für diese Ausstellung und die offenherzige Zusammenarbeit. Dank gilt auch den Gastgebern im Kunsthaus sans titre, denen ich weiterhin einen starken Atem wünsche und die Hoffnung verbinde, dass dieses für Potsdam wichtige Kunst- und Atelierhaus erhalten bleibt. Ihnen, verehrte Gäste, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen anregende Bildbetrachtungen heute und innerhalb der zweiwöchigen Laufzeit auch bei Tage. Ich würde mich freuen, Sie anlässlich der Finissage, am nächsten Sonnabend wieder zu sehen, wenn um 16 Uhr die bezaubernde Deutsch-Japanerin Anne Yumino Weber auf ihrem Cello Werke von Bach, Ligeti und dem vor ein paar Tagen verstorbenen Hans Werner Henze spielt. Gestatten Sie mir zum Abschluss, ein Gedicht von Christiane Schulz vorzutragen, das mich zum Titel dieser Ausstellung inspirierte: Zwischen den Jahren Der See ist beunruhigt. Der Wind hat ihm den Spiegel zerschlagen. Jetzt kann er den heiligen Säulen nicht nachsehen, wie sie sich gülden anstreichen lassen mit vergänglichem Lichtlack; den letzten zwölf Monden nicht, wie sie versuchen, über das Wasser zu gehen, von der Sonne milde belächelt. Thomas Kumlehn, 31.10.2012