Squaw Rose benutzt in ihren Bildern die blauwertige Farbe um einen
Eindruck von Unverhülltheit zu erzielen. Die Bilder geben eine Transparenz
der Flächenschichtungen, die einen Raumeindruck suggestiv entstehen
lassen. Die Beleuchtung ist durchgängig unklar.
Es fehlt eine eindeutige Lichtquelle. Sichtbar ist ein transparenter,
atmosphärischer Raum, in dem jede angedeutete Figuration schwimmt.
Wenn ich den Raumbegriff thematisiere, dann stelle ich mir die Frage nach
einer möglichen Beschreibung des Raumes in den Bildern von Squaw Rose. Der
Raum ist aufgebaut aus einem Verhältnis von farbigem Tiefenraum und
Figurationen innerhalb dieses Tiefenraumes. Die Figurationen können dabei
sowohl als anwesende Figurationen innerhalb dieses Tiefenraumes gelesen
werden wie auch als Verschattungen innerhalb dieses Tiefenraumes, wenn wir
Verschattung als ein optisches Phänomen verstehen, das für etwas
Unkörperhaftes, Unsubstantielles steht. Der Schatten verbirgt. Er verbirgt
das, was hinter ihm liegt, er verbirgt das, was unter ihm liegt, und er
verschweigt das Objekt, das den Schatten wirft.
Wenn der Schatten verbirgt, wenn der Schatten verschweigt, wenn die
eingeschriebenen Farbfelder verbergen, statt zu zeigen, wenn vielleicht
gar der ganze Farbraum etwas verbirgt, statt etwas zu zeigen, weil er nur
ein angefüllter Raum von Schatten ist – warum frage ich dann nicht danach,
ob es sich bei den Bildern von Squaw Rose vielleicht um einen Ausdruck der
verhüllten Nacht handeln kann? Die verhüllte Nacht nenne ich jene Art von
Dunkelheit, in der jede Art von Sinneseindrücken sowohl aufgehoben wie
auch übersteigert ist. Übersteigert in der Weise, daß nichts Gewohntes
angerührt wird. Die Nichtidentifizierbarkeit von eingeschriebenen
Figurationen evoziert ein Moment von Stille, das im Dunkeln schwebt. Der
Blick bleibt hier nicht stehen. Er geht um die Figurationen herum und
durch die Farbschichten hindurch in den Tiefenraum. Was ist wo? Und was
ist was?
Das Unbenennbare der Figurationen – ihre formal begriffliche
Unbestimmbarkeit – stellt die Frage nach Durchlässigkeit in Verbindung mit
der Transparenz und der Durchlässigkeit des Bildraumes. Die Frage nach
Durchlässigkeit ist zugleich die Frage nach einer gegebenen Verhülltheit.
Ein scheinbarer Widerspruch. Durchlässigkeit und Verhülltheit stehen sich
nicht entgegen. Nur das, was verhüllt ist, kann zu einer Frage nach
Durchlässigkeit aufrufen und muß dies tun.
Das Verhüllte in Squaw Roses Bildern ist zu verstehen als unsere
Unfähigkeit zu begriffsbestimmenden Bezeichnungen. Wir haben gar keine
andere Chance, als die Bilder von Squaw Rose als durchlässig zu sehen. Daß
wir diese Durchlässigkeit nicht weiter zu beschreiben vermögen, ist darin
begründet, daß bei der Ansicht der bildlichen Individualitäten und der
Allgemeinheit unserer sprachlichen Begriffe keine Entsprechungen möglich
sind.
Squaw Roses Bilder der Nacht sind für uns Bilder der verhüllten Nacht, in
der die Schatten für eine unsubstantielle Erscheinungswelt stehen. Wenn
das Bild sich nur als Erscheinung äußert, dann stellt sich die Frage: Was
erscheint? Ein Raumkontinuum, das wir nur begrifflich allgemein als ein
Kontinuum zu benennen vermögen? Und was ist innerhalb dieses
Raumkontinuums? Das Bild verschweigt und kann damit nur das Unsagbare
meinen.
Squaw Roses Malerei ist experimentell ausgerichtet. In der montagehaften
Verwendung von blautonigen Röntgenfotografien ist die Suggestion des
unendlichen Tiefenraumes durch das verwendete Material mit seiner tonalen
Transparenz vorgegeben. Die Figurationen innerhalb der Röntgenfotografien
sind Verschattungen im unendlichen Raum, die sich in unsubstantieller
Qualität zeigen.
Ein Eindruck von Raum oder Tiefenraum entsteht dadurch, daß Orte in einem
Raum markiert werden, die einen Eindruck von hier-vorne und dort-dahinter
bezeichnen. Die Einschreibung von Figurationen in die Farbflächen
bezeichnet Orte im unendlichen Raum. Wir finden aber nichts weiter als
unsagbaren Raum.
Die Nacht kann in ihrer Dunkelheit als durchlässig gesehen werden, wenn
wir akzeptieren, daß wir in dieser Durchlässigkeit keine Individualitäten
sprachlich benennen können. Die Nacht ist uneindeutig, und die Nacht –
wenn es die verhüllte Nacht ist – muß in der Umsetzung im Bild uneindeutig
sein und bleiben. Die Nacht im Bild bleibt damit ein Typus, der sich auch
im Akt unserer Wahrnehmung nicht individualisieren kann. Die Nacht hält
Spektren bereit, in denen ich mich subjektiv fragend der Verhülltheit
annähern kann, nach Durchlässigkeit fragend und suchend, vielleicht auch
erwartend, vielleicht auch erschauernd bemerkend, vielleicht auch voller
Furcht.
© bei Squaw Hildegard Rose und dem Autor,
Online-Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung
Rechtschreibung entsprechend der Schreibweise des Autors |