Squaw Hildegard Rose gehört zu der Künstlergeneration, der sich in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine verwirrende Vielzahl von neu
entwickelten künstlerischen Richtungen und gestalterischen Stilmitteln
bot. Die Entwicklung der abstrakten Kunst, die ihren Triumphzug durch
Europa und die USA nahm, gab auch ihr den Weg frei für Subjektivität und
singulären Aktionismus, der diesen gesamten Kunstprozess bestimmte. Die
grundlegend veränderten Sicht- und Sehweisen der Künstler erschwerten,
damals wie heute, die Seh- und Lesbarkeit dieser Bilder; das Fehlen des
Ablesbaren, das sich Hineindenken in eine bildnerische Form, die
Herausforderung der eigenen Fantasie, die Selbstbefragung und die
Besinnung des Betrachters auf sich selbst in einer zunehmend
medienorientierten Welt. Wer in den Werken Squaw Roses herkömmlich
Wiederzuentdeckendes sucht, wird erfahrungslos bleiben.
Die Malerin schickt uns auf eine Expedition in die Welt der Klänge, die
schon zur Genüge entdeckt zu sein scheint, sich jedoch in den überlagerten
und gegenseitig durchdringenden Farbschichten der Bilder in unendlichen
Variationen von hellen und dunklen Tönen neu formiert1.
Ein ewiges Schweigen der unendlichen Räume (B. Pascal) liegt in und über
ihren Werken. Von Zeit zu Zeit werden die fließenden Grenzen zwischen
abstrakter und gegenständlicher Malerei sichtbar, so wie die Wandlung der
Landschaftsstrukturen oder Gegenstände in Licht, Farbe und Linie. Ihr Werk
macht erfahrbar, dass es sich bei ihrer Malerei nicht um die Wiedergabe
von Natur, nicht um deren Abbild oder gar Zerstörung handelt, … sondern im
Gegenteil, um eine subtile Annäherung im Prozess von Verwandlungen. (E.
Schumacher). Diese Herausforderung an das aktive Sehen bedingt ein sich
Versenken in die Bildstrukturen, gleichsam im gedehnten Decrescendo, um im
bereicherten Crescendo hervorzukommen. Aus den Farbflächen ihrer Bilder
erstrahlen kristalline Strukturen, so dass der Betrachter ihre Arbeiten
als Makroaufnahmen organischer Prozesse sehen könnte, wenn es nicht zu
vereinfacht wäre. Der oberflächliche Blick macht es sich leicht, nur über
Eindrücke zu berichten, als seien sie genial gesehene Ausschnitte der
realen Welt oder originelle Beispiele für die kreativen Einbindungen von
Röntgenfilmmaterial in künstlerische Objekte.
Man sieht und empfindet in ihren Werken, dass Squaw Rose an das komplexe
Erbe der Moderne anknüpft. Nur zu selbstverständlich finden sich in ihren
Bildern auch die Aufnahme und Umsetzung der Ideen des Surrealismus, die
abstrakten Tendenzen von Kandinsky und Klee ebenso, wie die des
amerikanischen Abstrakten Expressionismus und des Informel, deren Werken
die erneute Heranführung der deutschen Kunstszene an die internationale
Szene zu verdanken ist, und die einen originären Teil zur Weltsprache der
Abstraktion beigetragen haben.
In einer Zeit der sich wieder und neu formierenden realistischen Tendenzen
in der Kunst, hat es die Kunst von Squaw Rose nicht leicht, sich zu
behaupten. Umso mehr Anerkennung verdient ihre Konzentration auf das
kompositorisch-künstlerische Handwerk, das Bilder hervorbringt, die
ausschließlich ihre persönliche Sprache besitzen. Sie sind komplizierte,
geschichtete und verschränkte Strukturen und Farbflächen, auf- und
absteigend, und werden mit vorgefundenen Materialien kompositorisch
verbunden. Verhalten bilden sich handschriftliche Motive heraus, die
ständig variiert und streng geführt werden, so dass ein Gesamtklang
gelingt. Das künstlerische Thema von Squaw Rose besteht nicht darin, reale
Vorgänge zu formulieren oder Allegorien anzubieten, sondern das
fantasievolle Schauen (L. d. Vinci) anzuregen. Nur wer sich auf ihre
Bilder einlässt, sich in sie vertieft; nur der Betrachter, dem es möglich
ist, meditativ in ihnen zu versinken, wird die unendliche Vielfalt spüren,
diese unglaubliche Anziehungskraft und Tiefe, die von diesen Arbeiten
ausgeht. Sie bestätigen, dass künstlerische Kontinuität, gegründet auf die
Kenntnis der traditionellen Mittel der Malerei, auf Form und Farbe, sich
auch in den gegenwärtigen Strömungen durchsetzen kann. Die Werke von Squaw
Rose stehen für fantasievolle Imagination, intellektuelle Offenheit,
transzendente Grenzüberschreitung und implizieren den Freud'schen Wunsch,
die Verknotungen des Geflechts alles Erkennens zu lösen.
1 Zwei Komponisten haben sich von den
Bildern Squaw Hildegard Roses inspirieren lassen und deren Klänge in die
Sprache der Musik übersetzt: Johann Gottlob von Wrochem »Bilder einer
Ausstellung« (1992) und Hartmut Behrsing »Nachtspiegelung« (2005)
© bei Squaw Hildegard Rose und dem Autor,
Online-Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung
Rechtschreibung entsprechend der Schreibweise des Autors |